Die evolutionäre Entwicklung von Menschen & Organisationen verstehen und fördern

Wie unverständliches Verhalten plötzlich nachvollziehbar wird

Louise hat kürzlich die Leitung eines lokal gut verankerten Treuhandbüros übernommen. Schon nach kurzer Zeit fallen ihr bei vertieften Einblicken immer wieder Unregelmässigkeiten auf. Um es auf den Punkt zu bringen: Es zeigt sich, dass das Treuhandbüro in verschiedenen Fällen aktive Beihilfe zur Steuerhinterziehung geleistet hat. Sie ist entsetzt und ruft ihr Management-Team zusammen. Ihre Abteilungsleiter reagieren bockig. Sie finden, dass Louise die Tragweite dieser Aktivitäten massiv übertreibt und Louise merkt, dass die rationalen Erklärungen am Führungsteam vorbeigehen. Sie fühlt sich nicht verstanden und frag sich, wie sie die Sache noch erklären könnte, damit die Führungskräfte sie endlich verstehen.
Louise bringt den Fall mit ins Führungscoaching und wir analysieren ihn gemeinsam vor dem Hintergrund der Stufentheorie:
Das Treuhandbüro ist noch sehr stark in der gemeinschaftsbestimmten Stufe 4 verankert. Auf dieser Stufe identifizieren sich die Menschen mit ihren Beziehungen. Sie wollen die Erwartungen wichtiger anderer Menschen um jeden Preis erfüllen. Die Führungskräfte und Mitarbeitenden des Treuhandbüros wollen die Erwartungen ihrer Kunden unbedingt erfüllen.Das Einhalten von gesetzlichen Vorgaben und Standards ist diesen Menschen noch nicht wirklich wichtig. Diese Haltung entwickelt sich erst in Stufe 5. Ein weiterer wichtiger Aspekt der Stufe 4 ist die Orientierung an der Tradition. Man macht es so, wie man das schon immer gemacht hat. Viele der von Louise aufgedeckten Verstösse sind erst in den letzten Jahren im Zusammenhang mit der Geldwäschereibekämpfung entstanden und gehören darum nicht zum tradierten Handeln des Treuhandbüros.“
Bereits diese Erkenntnis löst bei Louise grosse Erleichterung aus. Es tut ihr sichtlich gut, dass das bisher unverständliche Verhalten für sie verständlich wird.
Jede Handlungslogik achtet auf andere Dinge. Stufe 4 achtet besonders auf Erwartungen und auf Traditionen, aber auf Standards und Sachargumente kaum. Als wir die beiden Handlungslogiken mit ihrem unterschiedlichen Wahrnehmen, Verarbeiten und Handeln aufzeichnen, fällt es Louise wie Schuppen von den Augen: Die Führungskräfte konnten sie bisher gar nicht verstehen! Die Argumentationen von Louise waren für sie nicht relevant. Zudem waren sie kaum in der Lage wirklich zuzuhören, weil sie sich in ihrem Engagement nicht verstanden gefühlt haben.“
Die Erleichterung bei Louise wächst. Jetzt versteht sie auch, warum sie die Führungskräfte mit ihrer bisherigen Botschaft nicht erreicht hat. In einem letzten Schritt erarbeiten wir gemeinsam eine Changestory:
„Das Treuhandbüro hat eine sensationelle Stärke: die grosse Kundennähe und langjährige Kundenbeziehungen. Die gesetzlichen Vorgaben, die in den letzten Jahren rund um die Geldwäsche entstanden sind, sind in einem solchen Umfeld nicht einfach umzusetzen. Die betroffenen Kunden reagieren frustriert, drohen mit Kündigung und das ist schwer auszuhalten. Zudem weiss ich, dass Sie viele dieser Kunden auch privat, in Vereinen usw. treffen. Hier drohen gute Beziehungen in die Brüche zu gehen. Gleichzeitig kommen wir aber nicht darum herum, uns der Umsetzung dieser gesetzlichen Vorgaben zu stellen, auch wenn kaum einer dieser Kunden aktiv Geldwäscherei betreibt.
Die bevorstehenden Kundengespräche werden anspruchsvoll sein, das muss ich zugeben. Ich denke es ist wichtig, dass wir diese Gespräche gut vorbereiten und kluge Gesprächsstrategien erarbeiten, damit die Kundenbeziehungen keinen längerfristigen Schaden erleiden.“
Diese Kommunikation stösst nun auf sehr offene Ohren, nicht nur bei den Führungskräften, sondern auch bei den Mitarbeitenden. Louise nutzt diese Herausforderung, um die Entwicklung von Stufe 5 Kompetenzen aktiv zu fördern und zu unterstützen.
Gibt es in Ihrem Führungsbereich Dinge Verhaltensweisen, die Ihnen unverständlich sind? Oder fühlen Sie sich mit Ihren Anliegen von den unterstellten Personen nicht verstanden? Oder umgekehrt: verstehen Sie als Mitarbeiterin oder als Mitarbeiter die Vorgesetzten nicht?