Wieder fühlen lernen
Es ist von grosser Bedeutung, dass wir damit anfangen, unsere eigene „Verbissenheit“ zu bemerken, statt uns wie bisher dieses Verhalten schön zu reden. Wir müssen in der Lage sein, hinter die Fassade unserer „Lieblingsrollen“ zu schauen. Statt dass wir uns als „die grossen Helden“ sehen, die den Karren immer wieder aus dem Dreck ziehen, als „die gerechten Richter“, die für Recht und Ordnung sorgen, als die „sachlichen Wissenschaftler“, die den Sachfragen emotionslos auf den Grund gehen, als die „barmherzigen Samariter“, die sich aufopfernd um andere Menschen kümmern, als die „angehenden Yogis“, die ohne zu Werten über den Dingen stehen, als die „ungesehene Opfer“, die grosses Leid und Unrecht erdulden, als die „tapferen Davids“ mutig gegen die bösen Goliaths antreten usw. sollten wir erkennen, dass jede dieser Rollen kaschiert, dass wir mit grosser Verbissenheit gegen unseren eigenen Schmerz, unsere Scham, unsere Wut, unsere Schuldgefühle und sogar gegen unser Mitgefühl kämpfen.

Verletzlichkeit – der Geburtsort aller grossen Zukunftsfähigkeiten
Unsere Gesellschaft verurteilt und verdrängt Verletzlichkeit. Wir meinen verletzliche Menschen seien schwach. Das Gegenteil ist der Fall. Brené Brown, die grosse „Verletzlichkeitsforscherin“ beschreibt Verletzlichkeit als die Quelle aller wichtigen Zukunftsfähigkeiten: Kreativität, Innovationskraft, Agilität, Lernfähigkeit usw. Wer Misserfolg, Scheitern, Zurückweisung, Verurteilung usw. in sich selbst fühlen und halten kann, wird den Mut entwickeln, tradierte Wahrheiten zu hinterfragen und neue Wege zu gehen, die mit ungeahnten Schwierigkeiten, Umwegen und Scheitern verbunden sind. Wer wirklich verletzlich ist, wird die Kraft aufbringen, sich nach jedem Scheitern wieder aufzuraffen, aus dem Misserfolg zu lernen und klüger als zuvor von Neuem zu beginnen und Neuland zu betreten.

Die Intelligenz des Fühlens
Der analytische Verstand hat grossartige Vorteile. Er ist systematisch, zuverlässig, genau und klar. Er setzt klare Ziele und Absichten und sorgt dank seiner planerischen Intelligenz für sehr viel Zuverlässigkeit und Stabilität. Der Psychologe und Nobelpreisträger Daniel Kahneman spricht in diesem Zusammenhang vom langsamen Denken, weil dieses Denken in seiner Präzision nur einen Aspekt nach dem anderen verarbeiten kann.

In einer Zeit, in der alles laufend komplexer, unberechenbarer und instabiler wird, kommt der langsame Verstand aber sehr rasch an seine Grenzen. Die Denkfunktionen der rechten Hemisphäre bezeichnet Kahneman als das schelle Denken. Dieses kann unglaubliche Datenmengen in kürzester Zeit verarbeiten. Dafür ist dieses Denken oft nicht sehr genau und auch der Zugang zu den „Denkergebnissen“ ist nicht so einfach wie beim langsamen Denken.

Ein grosser Teil des schnellen Denkens findet im Extensionsgedächtnis statt. Dieses hat Zugriff auf unser gesamtes Erfahrungswissen. Leider ist das „Denkergebnis“ des Extensionsgedächtnisses nicht so einfach zu „lesen“ wie das des analytischen Verstandes. Je besser unsere Fühlfähigkeiten sind, um so leichter fällte es uns, mit dem Extensionsgedächtnis zu kommunizieren. Das „Training“ dieser besonderen inneren Sprache ist sehr lohnend, denn sie beschert uns den Zugang zu besonders wertvollen Fähigkeiten.

Im Entwicklungsraum machen wir unterschiechste Erfahrungen im Umgang mit dem schnellen Denken und seinem Zugriff auf unser gesamtes Erfahrungswissen. Dabei gewinnen wir gemeinsam immer mehr Sicherheit im «Lesen» der analogen Informationen. Gleichzeitig reift unser Selbst und beschert uns immer mehr innere Sicherheit, Ruhe und Gelassenheit.